Die Art und Weise der Übersetzung biblischer Texte ist keine Nebensache, sondern gerade in "heißen" Fragen entscheidend.
Das zeigt uns das Beispiel der Junia in Römer 16, 7. Wenn ich dir heute sage, dass ein biblischer Text bewusst verändert wurde - also nicht mehr dem ursprünglichen Grundtext entspricht - Was würdest du denken? Wenn ich dir heute aufzeige, wie aus einer Frau ein Mann gemacht wurde in der Bibel - Wärst du empört?
Ich bin es. Ja, mich empört, dass besonders aus der Ecke der Menschen, die sich selbst gerne als "bibeltreu" bezeichnen, die Macht der jeweiligen Übersetzung außer acht gelassen und damit eine möglichst "akkurate" Bibelauslegung vermieden wird, obwohl man* sich ihrer so rühmt.
Heute entdecken wir am Beispiel der Junia, die von Paulus gegrüßt wird, dass nicht bloß auf einen gerade vorliegenden Wortlaut abgestellt werden kann, sondern stets auch der historische und kulturelle Hintergrund, der Sachzusammenhang sowie die jeweilige Übersetzung berücksichtigt werden müssen.
Stay encouraged and blessed and have fun!
1) Was denn nun - Junias oder Junia?
2) Historischer Hintergrund und Grammatik
3) Apostelin?
4) Zusammenfassung
5) Literatur
Wie aus einer Frau ein Mann wurde.
1) Was denn nun - Junias oder Junia?
JE NACHDEM, WELCHE BIBELÜBERSETZUNG DU GERADE LIEST,
entdeckst du in Römer 16, 7 entweder einen "Junias" oder eine "Junia". Mach doch gerne mal das Experiment mit und schlag deine Bibel jetzt an dieser Stelle auf.
Paulus grüßt dort im letzten Kapitel des Römerbriefes verschiedene Personen. Darunter neben Andronikus in Vers 7 eine weitere Person.
Wenn du die Schlachter Übersetzung (2000) aufschlägst, dann steht dort "Junias". Die Neues Leben Bibel schreibt dagegen "Junia". Ebenso finden wir die "Junia" in der revidierten Lutherübersetzung von 2017. In der Lutherbibel von 1984 dagegen lesen wir noch "Junias". Die Elberfelder Studienbibel mit Sprachschlüssel und Handkonkordanz schreibt in der Übersetzung von 2006 "Junias" in den Text von Römer 16, 7 und notiert in einer Fußnote e lapidar "oder Junia".
Ja, was denn nun? Grüßt Paulus hier einen Herrn Junias oder eine Frau Junia? Und waren die beiden Apostel:innen oder nicht? Ganz egal kann das ja nicht sein, denn ein "Totschlagargument" besonders "bibeltreuer" Christ:innen lautet stets, dass weiblich gelesene Personen nicht lehren dürften, denn in der Bibel seien es auch ausschließlich männlich gelesene Personen gewesen, die das Evangelium verkündeten. Doch stimmt das überhaupt?
Wir bei franletters lieben es, Bibeltexte gründlich zu untersuchen und wünschen uns, so nah wie möglich an den ursprünglichen Quellen zu bleiben. So handhaben wir es auch in unseren Bible Study Workbooks. Deshalb schauen wir uns diese Sache mit Junia jetzt mal genauer an. Los geht's!
2) Historischer Hintergrund und Grammatik
WIE KONNTE ES ZU UNTERSCHIEDLICHEN NAMEN KOMMEN?
Dem Römerbrief liegen Texte in Altgriechisch zugrunde. Die ältesten Schriftdokumente des Neuen Testaments stehen dabei in Großbuchstaben. Rein grammatikalisch ist es möglich, statt "Junia" auch "Junias" zu lesen, denn der Name steht hier im Akkusativ (IOYNIAN). Um sicher sagen zu können, ob es sich um einen Frauen- oder Männernamen handelte, bräuchten wir einen entsprechenden Akzent, der das Genus markieren würde. Dieser Akzent aber wird bei der Schreibweise in Großbuchstaben nicht gesetzt. Er fehlt hier. Das heißt: Der reinen Schreibweise im Grundtext nach zu urteilen, können wir nicht sicher sagen, ob hier ursprünglich Junia oder Junias stand. Es ist beides möglich.
Allerdings hat es in der Antike diesen Namen für Männer nicht gegeben. Es fehlt jeglicher Beleg, dass dies ein Name für eine männlich gelesene Person war. "Junia" dagegen war ein sehr gebräuchlicher Frauenname, der in vielen Texten aus dieser Zeit vorkommt.
Auch ist nicht davon auszugehen, dass "Junius" eine Kurzform des Männernamens Junianius o. ä. ist, da solche Kurzformen zwar bei griechischen Namen gebildet wurden, aber nicht üblich waren bei lateinischen.
Deshalb setzten die frühen Schreiber der Bibel den Akzent beim Namen auch so, dass es sich um Junia, also einen Frauennamen handelte. Davon gingen sie einfach wie selbstverständlich aus, denn einen entsprechenden Männernamen gab es nicht. Es kann in diesem Zusammenhang davon ausgegangen werden, dass Junia und Andronikus als Ehepaar gemeinsam für die Frohe Botschaft unterwegs waren.
Erst später veränderten Bibelausleger den Text in einen Männernamen um (als man* sich wahrscheinlich längst nicht mehr dessen bewusst war, dass es diesen Namen gar nicht gab), weil sie sich nicht (mehr) vorstellen konnten, dass eine Frau gleichrangige Mitarbeiterin mit einem Mann oder gar ebenfalls Apostelin war.
3) Apostelin?
KONSEQUENZ DER WEIBLICHEN FORM IST,
dass wir hiermit einen Beleg für eine weibliche Apostelin haben. Eigentlich.
Als aber mehrheitlich klar wurde, dass es sich hier nur um eine Junia und nicht einen Junius handeln kann, waren einige der Auffassung, dass dann der Bibeltext in Römer 16, 7 eben so zu verstehen sei, dass Paulus hier Junia und Andronikus nicht als "Apostel:innen" grüßt, sondern als Menschen, die auch unter den Aposteln hohes Ansehen genießen.
Man* konnte und wollte sich einfach nicht vorstellen, dass eine weiblich gelesene Person Apostelin sein kann. Denn als Apostel sind Menschen zu verstehen, die dazu berufen sind, die Gute Nachricht von Jesus Christus zu verkünden (in einem engeren Sinne sind nur die 12 Jünger Jesu darunter zu verstehen). Wie aber soll dann der Grundsatz aufrechterhalten bleiben, dass nur männlich gelesene Personen "Verkünder" sein dürfen?
4) Zusammenfassung
WIR KÖNNEN HEUTE NICHT MIT SICHERHEIT SAGEN,
ob Paulus eine Junia oder einen Junius grüßt. Was wir aber wissen: Der Name wurde im Laufe der Zeit in den jeweiligen Bibelübersetzungen verändert. Aus einer Frau wurde ein Mann gemacht.
Mit wohl an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dürfen wir behaupten, dass Paulus hier von einer weiblichen Apostelin namens Junia spricht.
Wir wissen heute, dass es den Namen Junius in der Antike aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gab, sehr wohl aber den Namen Junia. Auch etwaige Kurzformen waren zwar im Griechischen, nicht aber bei lateinischen Namen gebräuchlich. Wir können außerdem nachvollziehen, dass frühere Kirchenväter (wohl noch bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein) von einer Junia ausgingen und dies auch so in der jeweiligen Übersetzung deutlich machten (mit dem entsprechenden Akzent). Erst später wurde der Name in einen männlichen Junius umgeändert. Heute lesen wir dagegen vielfach wieder die weibliche Form Junia in den Bibelübersetzungen.
Was wir jedenfalls mit Sicherheit aus dieser Geschichte ziehen können: Es gibt nicht "die eine Bibel". Übersetzungen entwickeln sich, Wortbedeutungen verändern sich mit der Zeit, neue Erkenntnisse und Funde treten von Zeit zu Zeit zu Tage.
Deshalb sollten wir uns vor allem davor hüten, zu meinen, dass "die Bibel" auf ganz konkrete Fragen im Hier und Jetzt und Heute "ganz klar" sei. Dem kann gar nicht so sein. Außerdem dürfen wir durchaus kritisch hinterfragen, was in der Bibel wie übersetzt wurde und ob das nicht teilweise auch ein Instrument der Machterhaltung bestimmter Strukturen war.
5) Literatur
WENN DU MEHR DARÜBER LESEN MÖCHTEST,
empfehle ich dir folgende Literatur zum Einsteigen (dort findest du dann jeweils weiterführende Literaturhinweise):
Annegret Braun: Warum Eva keine Gleichstellungsbeauftragte brauchte
Sue and Larry Richards: Alle Frauen der Bibel
Die BasisBibel
Beth Allison Barr: The Making of Biblical Womanhood
Harper Collins Bible Dictionary
Women's Bible Commentary
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