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Warum "Gendern" zutiefst christlich ist

In letzter Zeit ist auf Social Media und auch in ganz alltäglichen Gesprächen immer mal wieder ein mittelgroßer bis bombastischer Aufschrei zu hören, dass man* gefälligst mit „diesem Gendern“ aufhören solle und das schließlich auch nicht christlich, sondern gegen die Bibel sei.


Doch was ist „Gendern“ überhaupt und warum glaube ich, dass wir als Christ*innen sogar dazu aufgefordert sind?

 

  • 1) Was ist "Gendern"?

  • 2) Warum sollten wir gendern?

  • 3) Warum ist das christlich?

  • 4) Zusammenfassung

 


Warum "Gendern" christlich ist.


1) Was ist "Gendern"?

"GENDERN IST, SEHR ALLGEMEIN GESPROCHEN,

ein sprachliches Verfahren, um Gleichberechtigung, d. h. die gleiche und faire Behandlung von Frauen und Männern im Sprachgebrauch, zu erreichen. Gendern bedeutet somit die Anwendung geschlechtergerechter Sprache.“ (DUDEN, Gendern - ganz einfach!, Duden Berlin 2019, S. 7)


Ein Anfang für geschlechtergerechte Sprache ist damit die Doppelnennung femininer und maskuliner Formen, zum Beispiel: Bürgerin und Bürger, Deutsche und Deutscher, Studentin und Student, jede und jeder, Ärztin und Arzt.


Ein weiterer Schritt wäre, auch Transpersonen, Transgender und intersexuelle Personen einzubeziehen und somit nicht zu diskriminieren. Das kann über die „Sternchenlösung“ geschehen, z. B.: Lehrer*innen, Freund*innen, Mitarbeiter*innen. Mit dem Sternchen wird bewusst vom „binären“ System abgewichen, wonach es nur zwei Geschlechter geben soll. Es wird damit anerkannt, dass Menschen z. B. auch intersexuell geboren werden (beispielsweise mit einer Vulva und innenliegenden Hoden).

 

2) Warum sollten wir gendern?

NUN, EIN GRUND DAFÜR STEHT BEREITS OBEN

unter 1): es trägt zur Gleichberechtigung bei und dazu, Menschen möglichst nicht zu diskriminieren, indem sie auch sprachlich mitgedacht und somit sichtbar gemacht werden.


Nun wird immer mal wieder von einzelnen Personen entgegen gehalten, dass sie sich bisher auch nicht diskriminiert gefühlt haben und man* ja nicht gleich die Sprache ändern müsse.


Dem ist zu entgegnen, dass eine solche Aussage an der Wirklichkeit vorbeigeht. Denn: Sprache formt unser Denken und umgekehrt. Mit unserer (Mutter-)sprache gestalten wir unsere Wirklichkeit. Wenn wir immer wieder und fortwährend Menschen aus dem Sprachgebrauch auslassen, ist es so, als seien diese Menschen nicht existent oder doch zumindest nicht gleichwertig existent. Es scheint, als seien sie nicht wichtig genug, um auch sprachlich mitgedacht zu werden.

Es gäbe zahlreiche Beispiele, wie mit Sprache (auch mit Bildsprache) unser Denken und unsere Wirklichkeit geformt wird: Wenn zum Beispiel in Filmen und Büchern die Heldenfigur stets eine männlich gelesene Person ist, identifizieren sich Mädchen kaum als Heldin. Wenn im Kinderbuch nur Kinder mit heller Hautfarbe abgebildet sind, sind Menschen anderer Hautfarbe nicht repräsentiert. Wenn bestimmte Berufe männlich dargestellt werden (z. B. nur "Pilot", "Ingenieur" oder "Wissenschaftler"), können sich Mädchen kaum vorstellen, einen solchen Beruf zu ergreifen. Die Bedeutung von Sprache und dem Einbeziehen aller Menschen geht sogar so weit, dass selbst die Medizin jahrelang nur auf den männlichen Patienten ausgelegt war (was z. B. Medikation betrifft), weiblich gelesene Personen also irgendwie nicht mitgedacht waren und Medikamente dann ganz anders wirken.


Sprache verändert sich, passt sich an neuere Entwicklungen an und entwickelt sich selbst weiter. Begriffe verändern sich in ihrer Bedeutung (so zum Beispiel der Begriff der „Hausfrau“, worüber ich ausführlich in der Bibelstudie zu Sprüche 31 schreibe) und neuere wissenschaftliche Erkenntnisse führen dazu, dass bisherige Kategorien nicht mehr vollends zutreffend sind (so zum Beispiel die Entwicklungen zum Thema „Geschlecht“ und der binären Geschlechterordnung).


„Gendern“ kommt dieser Entwicklung nach, versucht gesellschaftliche Realitäten abzubilden - und ist nicht etwa eine „feministische Kampfideologie“, wie es stellenweise dargestellt wird.

 
3) Warum ist das christlich?

WENN DAS ZIEL DER GLEICHBERECHTIGUNG

hinter dem Gendern steht und dass damit alle Menschen gleichwertig mitgedacht und gesehen werden, dann ist das doch ein zutiefst christliches Anliegen, oder etwa nicht?


Für mich ist es ein Stück weit die Erfüllung des Bibelverses aus Galater 3, 28 (zitiert nach der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache): Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich und weiblich: denn alle seid ihr einzig- einig im Messias Jesus.


Dieser Bibelvers drückt für mich die Einzigartigkeit eines jeden Menschen aus sowie die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Menschen untereinander. Wir bewegen uns weg von Hierarchien, weg von "nicht so wichtig" und hin zu: Du bist wichtig, du bist gesehen.


Wenn wir uns das Leben Jesu anschauen, dann war er es, der gerade die Unsichtbaren sichtbar machte. Ich denke an die Frau mit dem Blutfluss, der es eigentlich gar nicht gestattet war, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen und zu bewegen (weil sie als unrein galt) und der Jesus dennoch seine Heilungskraft schenkte (Matthäus 9, 20ff.). Mir fällt die Frau am Jakobsbrunnen ein, die ganz bewusst zu einer Uhrzeit in die Öffentlichkeit ging, zu der sie dachte, nicht gesehen zu werden - und Jesus begegnet ihr genau dort und spricht sogar mit ihr - und das auch noch, obwohl sie als Samariterin unter den jüdischen Menschen als unrein galt (Johannes 4, 1ff.). Jesus fordert uns auf, die Kinder im Blick zu haben, sie zu uns kommen zu lassen, wo wir sie doch oft nicht ernst nehmen (vgl. Matthäus 19, 14). Jesus erzählt uns in Lukas 10, 29ff. das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter, um uns vor Augen zu führen, wer unsere Nächsten sind. Wieder steht im Mittelpunkt die wohl schwächste Person, die wir uns vorstellen können: Ein am Boden liegender, halb toter, misshandelter und ausgeräuberter Mann.


Jesus wendet sich immer wieder den Unsichtbaren und Ausgestoßenen der Gesellschaft zu, macht sie sichtbar, rückt sie in den Mittelpunkt und zeigt ihren Wert auf. Sollten wir das dann nicht auch tun?


Wie einfach ist es doch, mit unserer Sprache einen ersten Schritt zu gehen, oder?


Weder am Leben Jesu noch aus der Bibel sonst kann ich einen überzeugenden Grund ersehen, nicht zu gendern. Im Gegenteil: Der christliche Glaube fordert mich geradezu auf, eine Sprache zu wählen, die alle Menschen gleichwertig behandelt.


Teilweise wird dagegen als Einwand vorgebracht, dass die "Sternchenlösung" und damit die Abkehr von der binären Geschlechterordnung gegen die Bibel verstoße, weil schließlich in 1. Mose 1, 27 stehe, dass Gott die Menschen als "Mann und Frau" geschaffen habe, es also nichts "dazwischen" geben könne. Dieser Einwand trägt jedoch aus folgenden Gründen nicht:

  • Im Grundtext steht nicht "Mann und Frau", sondern "männlich und weiblich". Das ist ein Unterschied und lässt durchaus verschiedene Spektren zu.

  • Die Bibel bedarf als Text stets der Auslegung. Dass etwas "gegen die Bibel verstoße", lässt sich mithin gar nicht immer so eindeutig feststellen. Besonders verfehlt scheint mir, einen einzelnen Vers herausgreifen und damit ein ganze Wissenschaft belegen oder widerlegen zu wollen.

  • Auch die Bibel und die darin enthaltenen Geschichten sind Kind ihrer Zeit. Das bedeutet, dass Menschen die biblischen Texte auch vor dem Hintergrund ihres eigenen Wissenstandes und Sprachgebrauchs aufgeschrieben haben. Auch übersetzende Personen arbeiten so (siehe das Beispiel oben zum Begriff der "Hausfrau" - im Sprüche Workbook erläutere ich ausführlich, wie Martin Luther diesen Begriff dort eingeführt hat). Wissenschaftliche Entwicklungen fließen also - auch in biblische Texte - mit ein.

 

4) Zusammenfassung

GENDERN IST EINE GUTE UND WICHTIGE MÖGLICHKEIT,

mit Sprache die Gleichberechtigung aller Menschen voranzubringen.


Gerade Minderheiten werden häufig auch sprachlich übersehen und es ist ein zutiefst christlicher Auftrag, von der Gesellschaft an den Rand gedrängte Personen zu sehen und sichtbar zu machen.


Die "Sternchenlösung" verstößt damit weder gegen christliche Werte noch gegen biblische Texte. Vielmehr entspricht sie den christlichen Werten wie Nächstenliebe und Gleichberechtigung.



 

Stay encouraged and blessed and have fun!


 
 

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