Wie mit Kindern die Bibel lesen bei Gewalt?
- Dr. Franziska Kruppa

- 5. Dez.
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 4 Tagen
Die Bibel ist nicht frei von gewaltvollen und grausamen Geschichten. Wie können wir sie trotzdem sensibel und einfühlsam mit unseren Kindern lesen?
Diese Frage stellte mir eine Person auf Instagram und hier liest du einen kleinen Leitfaden als Antwort, der dich inspirieren und von dem du dir nehmen darfst, was zu dir (und deiner Familie) passt.
Gerade gängige "Kindergeschichten" in der Bibel enthalten oft grausame und gewaltvolle Passagen. Manches ist direkt benannt, anderes ergibt sich aus dem Textzusammenhang. Wenn zum Beispiel nur Noah und seine Familie gerettet werden mit den Tieren, die in der Arche sind - was ist dann mit den anderen Menschen und Lebewesen geschehen und warum? Wenn Gott das Volk Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft befreit und vorher lebensbedrohliche Plagen schickt - was bedeutet das für die Menschen, die dort in dieser leben und vielleicht unschuldig sind? Wenn Jona einen Auftrag Gottes erhält, den er nicht ausführen möchte und durch die Begegnung im Bauch des Wals quasi dazu gezwungen wird - was sagt das über Gottes Charakter aus?
Ist Gott etwa ein grausamer Gott? Und möchte ich das meinem Kind so weitergeben?
1. Was willst du?
2. Gottes Wesen
3. Ein Gottesbild
4. Zusammenfassung und weiterführende Literatur
Kleiner Leitfaden fürs Bibellesen mit Kindern
1. Was willst du?
MACH DIR KLAR, WAS DU EIGENTLICH WILLST UND WARUM.
Was ist dein ganz persönlicher Gedanke, deine Meinung, dein Anliegen als Elternteil oder Erziehungsperson? Wie denkst du über die Bibel oder einzelne Geschichten? Möchtest du sie mit deinem Kind zum jetzigen Zeitpunkt teilen? Warum oder warum nicht?
Du darfst in aller Freiheit selbst entscheiden, ob du die Bibel mit deinem Kind liest oder nicht. Du darfst entscheiden, ob du sie ganz liest oder nur in Teilen und manche Geschichten z. B. für einen späteren Zeitpunkt aufsparst. Du musst die Bibel nicht lesen. Und du musst die Bibel nicht mit deinem Kind lesen.
Die Bibel ist eine Möglichkeit von vielen, unsere Spiritualität zu entdecken, zu nähren und weiter zu entwickeln. Ich persönlich finde die Geschichten wunderbar und sehe sie als reichen kulturellen Schatz, bei dem wir immer wieder Neues entdecken können, der in unser Leben strahlt und die Kraft zur positiven Veränderung hat - deshalb schreibe ich ja auch so gern Bibelstudien :)
Genauso kann es aber auch Zeiten im Leben geben, wo du selbst von (manchen) Bibelgeschichten eine Pause brauchst. Vielleicht findest du grad selbst nicht den Zugang oder haderst mit einigen Passagen. Das darf sein und da darfst du auch deinem Kind gegenüber ehrlich sein (Kinder spüren sowieso, wenn etwas "faul" ist).
Wenn du aber zu dem Schluss kommst, dass du gern Bibelgeschichten (vor-)lesen möchtest, dann kommen hier einige Tipps und Gedanken für dich:
2. Gottes Wesen WER IST GOTT FÜR DICH

und wie möchtest du deinem Kind von Gott erzählen?
Ein Beweggrund, warum wir unseren Kindern Bibelgeschichten vorlesen möchten, ist sicherlich, dass sie etwas von Gott erfahren und Gottes Wesen entdecken können. Wir wollen Glauben teilen.
Was also glaubst du? Was glaubst du über Gott? Was hat sich vielleicht auch in deinem Glauben verändert? Und was darüber möchtest du deinem Kind weitergeben, dass es gestärkt, erfrischt, getragen und inspiriert wird?
Ich war eines Tages an dem Punkt in meinem Leben angekommen, dass ich mir selbst zusprach: Gott ist mein "zu schön um wahr zu sein". Daraus ist sogar eine Postkarte entstanden. Wenn nicht Gott dieses "zu schön um wahr zu sein" für mich ist - wer oder was sollte es dann sein? Ich hatte für mich Gott so erlebt, dass sie*er Freiheit ist und Liebe, Wärme und Hoffnung, Reichtum und Fülle, Schutz und Bewahrung, Weisheit und Lebenskraft. Gott hält nichts Gutes zurück. Alles ist schon da, alles ist schon in mir und ich darf das gemeinsam mit Gott entdecken. Und das möchte ich meinem Kind auch weitergeben.
Das heißt: Wenn in der Bibel über Gewalt oder Grausamkeiten gesprochen wird, mache ich (mir) klar, dass das einfach ein anderes Gottesbild ist. Was hat es damit auf sich?:
3. Ein Gottesbild IST NICHT GLEICH GOTT.

Die Bibel erzählt uns von Gott - aus der Sicht der Menschen, die die Geschichten für uns aufgeschrieben haben. Diese Menschen waren Kinder ihrer Zeit. Sie waren geprägt von ihren individuellen und kollektiven Erfahrungen, ihren kulturellen Vorstellungen und dem Wissens- und Erkenntnisstand der jeweiligen Epoche. Nicht Gott selbst ist es, die*der schreibt, sondern Menschen, die in den Texten von ihren unterschiedlichen Erfahrungen erzählen, die sie als Folgen des Wirkens Gottes verstehen.
Und so transportieren die Schreiber*innen der Bibel ihr ganz persönliches Gottesbild. Der Duden versteht unter dem Begriff des Gottesbilds eine Idee, die jemand* von Gott hat. Es geht um das innere Bild, das ein Mensch mit dem Begriff „Gott“ verknüpft. Dabei können wir folgende Punkte festhalten:
Das innere Bild ist geprägt von persönlichen Erfahrungen: Was habe ich bisher in meinem Leben erfahren? Wie habe ich Schicksalsschläge erlebt?
Die Erziehung und Familie spielen eine Rolle: Hat mir jemand* von Gott erzählt? Welche Traditionen lebt unsere Familie?
Auch die Sprache kann Einfluss auf unser Gottesbild haben: Wie wird von Gott erzählt? Welche Sprache wird gebraucht? Wird Gott z. B. männlich dargestellt? Geht es um Gehorsam und Strafen?
Ein Gottesbild ist in der Regel nicht statisch; es steht nicht fest „für immer“, sondern entwickelt sich ständig weiter
Wichtig: Ein Gottesbild entspricht nicht Gott selbst, denn es ist eben nur ein Bild von Gott
Niemand* von uns weiß zu 100%, wie oder wer Gott ist. Das ist nur logisch, denn könnten wir Gott erfassen, wäre sie*er wohl nicht Gott, oder?
Es geht demnach nicht um eine absolute Wahrheit (kann es gar nicht gehen), sondern allenfalls subjektives Erkennen, das wir als Gläubige miteinander und zum Beispiel mit unseren Kindern teilen können. Dabei können sich unsere individuellen Bilder von Gott selbstverständlich unterscheiden. Jede*r Mensch erfährt Gott auf ganz eigene Art und Weisen, das macht persönliche Spiritualität ja so kostbar und wundervoll.
Ganz praktisch können folgende Punkte beim oder vor dem Bibellesen hilfreich sein:
Was wollen uns die Menschen über Gott weitergeben? Hintergrund von gewaltvollen oder grausamen Bildern in der Bibel ist beispielsweise ganz häufig, dass sich die erzählenden Menschen als Opfer fühlen. Eventuell werden sie unterdrückt, haben keine Rechte und sehen keinen Ausweg. Sie klammern sich dann an einen übermächtigen Gott als letzte Möglichkeit der Rettung. Weil sie selbst so viel Gewalt und Leid erlebt haben, sehnen sie sich nach Rache, deren Ausführung sie auf die Gottheit projizieren. Botschaft kann dann sein: Gott hilft dir! Gott sorgt für Gerechtigkeit! Hab keine Angst!
Wie war das Gottesbild zur Zeit der biblischen Geschichte? Wir entdecken, entsprechend der Entwicklung der Zeiten, unterschiedliche Gottesbilder in der Bibel. Befinden wir uns zum Beispiel in einer Zeit von Eroberungen und Revierkämpfen, begegnen wir auch der menschlichen Vorstellung von einer kriegerischen Gottheit. Auch Jahwe wird dann als solcher Kriegsgott dargestellt und darf anderen Kriegsgöttern natürlich in nichts nachstehen. Mit Thomas Hieke (siehe Literaturhinweis am Ende) können wir dann überlegen: „Wer schreibt so etwas? Vielleicht jemand, der es satthat, ständig als Kriegsopfer von militärischen Mächten hin und her geschubst zu werden, jemand, der auf einen Gott hofft, der endlich durchgreift und die Feinde, die Bösen - wer immer das sein mag - vernichtet. (…) Was soll man noch tun, wenn menschliches Unrecht überhandnimmt, übermächtig wird? Man flüchtet sich zu einem Gott, der ein Mann des Kampfes ist - und hoffentlich dreinschlägt. Das ist eine verständliche Reaktion.“
Frage dich: Womit identifiziert sich mein Kind und empfindet es die Stellen überhaupt als problematisch? Welche Fragen stellt mein Kind? Häufig nämlich identifizieren wir uns mit der Heldenfigur einer Geschichte, leiden mit ihr mit, freuen uns mit ihr und denken nicht unbedingt an das, was dadurch auch zwischen den Zeilen mit anderen Lebewesen in der Geschichte passiert sein könnte (z. B. bei Noah). Kompliziertere Überlegungen und Gedanken, was das dann alles bedeutet, kommen manchmal erst in einem späteren Alter und wir dürfen ihnen dann zu gegebener Zeit begegnen.
Wie ist deine Perspektive? Wie verstehst du die Botschaft der Geschichte? Da darfst du auch in Freiheit selbst erzählen (du bist ja nicht sklavisch an den übersetzten Text in der Bibel gebunden und darüber hinaus kannst du natürlich bei der Wahl der Kinderbibel schon darauf achten, wie sensibel Geschichten erzählt werden). Nehmen wir z. B. die Geschichte von Jona, die uns vielleicht sagen möchte: Kennst du das, wenn du eigentlich weißt, was gut für dich wäre (denn wir gehen anhand unseres Gottesbildes davon aus, dass Gott uns nichts "aufträgt", das nicht zu uns passt), aber du schaffst es einfach nicht? Dann rennst du vielleicht weg, läufst davon und denkst, es geht nicht mehr weiter. Gott sieht das und hat damit kein Problem. Mit Gott kommst du schon ans Ziel, das oft dein eigenes und Gottes gleichermaßen ist - eine Co-Creation quasi, eine gemeinsame Sache mit Gott. Manchmal passieren auf diesem Weg dann blöde Dinge, weil wir so viele Umwege gehen. Aber manchmal brauchen wir die auch und kommen darüber ins Nachdenken und ins Gespräch mit Gott.
Beziehe dein Kind mit in deine Überlegungen ein und frage zum Beispiel: Was denkst du darüber? Was fühlst du bei dieser Geschichte? Was nimmst du mit? Was findest du doof?
Behalte dir die Freiheit bei, manche Geschichten auch einfach doof finden zu dürfen und nicht zu verstehen. Wir können und müssen nicht alles verstehen. Und wir dürfen lernen, mit offenen Fragen zu leben. Und wir können zu dem Schluss kommen: So wird es da erzählt, ich aber habe es anders erfahren.
Und schließlich noch einmal und in aller Freiheit: Möchte mein Kind selbst gerade Bibelgeschichten lesen oder hören? Ist das grade dran oder darf es pausieren bzw. später kommen? Nicht jedes Kind hat in jeder Altersphase ein eigenes Interesse an Bibelgeschichten und das darf ganz einfach so sein und respektiert werden. Vielleicht ist es dem einen Kind tatsächlich zu viel an Spannung oder Grausamkeit und es schützt sich selbst, indem es sagt: Jetzt (noch) nicht. Du darfst gerne verschiedene Wege der Spiritualität ausprobieren und schauen, was zu dir und deinem Kind passt (z. B. gesprochenes Gebet, Körpergebet, Salben mit Öl, malen mit Gott, erzählen über Gott, eigene Geschichten einbinden, Inspirationskarten ziehen oder legen, Gott in der Natur begegnen usw.).
4. Zusammenfassung und Literaturempfehlungen
ES DARF BEI DIR BEGINNEN -

das hast du vielleicht schon gemerkt. Fragen, die wir uns im Beziehungskontext mit unseren Kindern stellen, fangen zunächst bei uns selbst an.
Das kann eine Einladung an uns sein, uns Zeit und Raum zu schenken für diese kleine abenteuerliche Reise.
Oft geht es dann erst einmal darum, selbst in die Freiheit und Ehrlichkeit mit dem jeweiligen Thema zu kommen. Dabei wünsche ich dir ganz viel Freude, Freiheit, Weisheit und Gottes Segen!
Als weiterführende Literatur empfehle ich dir:
Baumann, Gerlinde, Gottesbilder der Gewalt im Alten Testament verstehen, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2006;
Küstenmacher, Marion/ Haberer, Tilmann/ Küstenmacher, Werner Tiki, Gott 9.0, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 10. Aufl. 2022;
Hieke, Thomas, Gott: (k)ein Mann des Krieges, in: Hieke, Thomas/ Huber, Konrad (Hrsg.), Bibel umgehen, kbw Stuttgart 2022, S. 46ff.
Stay encouraged and blessed and have fun!



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