Wie können wir Intimität mit Gott auf der Matte erleben? Was hat es mit unserem Körper als Geschöpf Gottes auf sich und wie kommen wir von (ungesunder) Kontrolle in Dynamik und Freiheit?
... wenn ich mit meinen Kindern beim Kinderturnen oder im Familiengottesdienst bin, dann ist ganz klar: Wir bleiben nicht eine Stunde lang sitzen und hören zu, sondern stehen auf, klatschen, singen, bewegen uns. Und in diesem Rahmen ist es für die meisten Erwachsenen, die dabei sind, vollkommen in Ordnung, Worte mit Bewegungen zu verbinden, sich insgesamt mehr als nur nötig zu bewegen, vielleicht sogar Spaß daran zu haben. Für die Kinder wiederum ist es glasklar, dass sie sich bewegen – den Körper zu entdecken, Fortschritte in Koordination, Balance und Kraft zu machen, gehört zum Heranwachsen dazu.
Und dann, dann kommt im Heranwachsen irgendwann ein großer Einschnitt. Natürlich bleiben wir keine Kinder, wir werden älter, verständiger, sicherer in Sprache und Bewegung, müssen uns nicht mehr täglich neu ausprobieren. Worte ersetzen jetzt immer mehr die Körpersprache, auch wenn unser Körper unbewusst weiter mit uns und unseren Mitmenschen kommuniziert.
Irgendwann haben wir auf diesem Weg des Heranwachsens gelernt, dass Worte vernünftiger sind als Bewegungen. Dass Worte komplex und Körpersprache unterkomplex ist. Dass Worte Intelligenz und Eloquenz ausstrahlen und auf den Körper reduzierte Bewegungen in den meisten Fällen in der Kommunikation unterbelichtet wirken – außer wenn man zufällig professionelle:r Tänzer:in ist. Kurz: dass der Körper dem Kopf untergeordnet ist und wenn überhaupt dann für Diäten oder Leistung herhalten soll.
Ich verstehe durchaus, warum es sinnfrei ist, in einem Bewerbungsgespräch den eigenen Lebenslauf mit Bewegungen darstellen zu wollen (wobei ja z.B. die Gebärdensprache vollwertige Sprache ist, die ganz ohne gehörte Sprache, aber mit wunderbaren Zeichen und Bewegungen auskommt!); aber (!) die Hierarchisierung von gesprochener Sprache über existierendem Körper hat doch vielleicht auch etwas mit einem gewissen Leistungszwang und dem Versuch zu tun, das eigene Sein sehr gescheit wirken zu lassen.
Was meine ich damit? Unser Körper existiert zunächst. Er atmet, hat klare Bedürfnisse, wie Essen, Trinken, Schlafen und ist erstmal. Ob wir denken oder nicht, handeln oder nicht, unser Körper ist und bleibt Begleiter und Träger unseres Lebens. Das macht ihn so wunderbar, weil wir uns durch unseren Körper wirklich als Geschöpfe Gottes verstehen können; nichts dazu getan, einfach auf wundersame Weise hier ins Leben gestellt, bereit zu wachsen und sich mit jedem Entwicklungsschritt zu verändern.
Gleichzeitig ist der Körper in meiner Erfahrung oft ein großes Feindbild für alle, die Leistung und Kontrolle an vorderster Front einfordern. Denn der Mensch darf doch nicht einfach existieren, das wäre ja faul, undankbar und fast das Paradies auf Erden. Er soll sich mühen, stets über seine eigenen Grenzen gehen oder zumindest Gedankenschleife nach Gedankenschleife drehen und bloß nicht zur Ruhe kommen. Denn Ruhe, das bedeutet ja auch, dass niemand mehr leistet. Der Körper als Feindbild, das trifft auf manche Glaubensüberzeugungen zu, das trifft aber auch auf den Kapitalismus, die Konsumgesellschaft zu.
Wenn überhaupt den Körper einbeziehen, dann bitte so: optimieren, weniger werden (sprich Gewicht verlieren) und kontrollieren. Weight Watchers kontrolliert so die Kalorien von denen, die einfach "zu viel sind", Glaubensgemeinschaften kontrollieren die Bewegungsform und wieviel Raum ein Mensch einnehmen darf. Akzeptiert werden Fahnentanz, Bewegungslieder mit Kindern oder auch das Händeschütteln beim Friedensgruß. Hauptsache nicht zu frei und nicht zu viel Körperlichkeit, denn dann droht die wohltemperierte Kontrolle über die Gemeinschaft zu entgleiten.
Die wichtige Erkenntnis lautet: Unser Kontext und unsere Geschichte prägen, was wir für zulässige Bewegungsformen halten. Sind wir eher konservativ geprägt, dann kommt Yoga vom Teufel, aber ins Fitnessstudio können wir jeden Tag gehen; kommen wir aus der Landeskirche, halten wir in Trance tanzende Menschen während der Lobpreiszeit für vollkommen daneben. Ich glaube, es ist deshalb wichtig, zu überdenken, aus welcher Position man gerade die Ausdrucksformen von Christ:innen bewertet – was sind die eigenen vertrauten Bewegungsformen und warum hält man sie für maßgeblich auch für andere Menschen? Was sind vielleicht auch verbindende Elemente zwischen den verschiedenen Blickpunkten?
Und nun komme ich zurück zu den Kindern: Jesus hat einmal gesagt, dass wir werden sollen wie die Kinder und uns wird das Reich Gottes gehören (Matthäus 18). Ich lese das als einen Aufruf, wieder von Herzen flexibel zu werden. Damit meine ich nicht nur unsere Rücken- und Brustschmerzen, sondern auch unsere Glaubenshaltung. Wer so starrsinnig geworden ist in seinem Leben, dass Bewegung, Nachspüren, Freude und Dynamik nur noch graue Theorie sein darf und höchstens auf der Kanzel oder Bühne Platz hat, der muss dringend eine Stunde Kinderturnen, Yoga, Dancehall oder den nächsten Familiengottesdienst buchen! Ich meine das ganz ernst. Kinder sind so
dynamisch; jeden Tag entdecken sie alles mit vollem Körpereinsatz, werfen sich ins Leben und sind voll präsent.
Wenn wir sie als Vorbilder in unserem Glauben sehen, dann dürfen auch wir lernen: Dynamik gehört dazu. Ebbe und Flut geben den Takt vor. Wir sind kein unbewegter Teich, der ein Leben lang schlummert, sondern Menschen, die Ruhe und Sturm kennen und die eben nicht nur aus Kopf und Herz, sondern auch aus einem ganzen Körper mit all seinen Stärken und Schwächen bestehen. Das gilt es anzunehmen und ich glaube, dass Kinder uns das in ihrer Selbstverständlichkeit vorleben können – voll da sein, dynamisch und mit dem Körper, den wir geschenkt bekommen haben und den wir nicht zuerst optimieren müssen, um angenommen zu sein.
Genau das ist die Haltung, die ich als Beterin auf meiner Yogamatte einnehme: Ich bin voll da, mit meinem Körper, aufrecht, aufmerksam und bereit für das Leben, das Gott mit mir vorhat. Und dann passiert was! Das ist oft nicht in Worte zu fassen, weil es etwas Tiefes, Intimes ist, aber es ist greifbar als ein Gefühl von der Nähe Gottes, dem Getragensein durch seinen Geist. Worte der Bibel kommen in der Bewegung auf meiner Matte plötzlich an mich ran, begleiten mich im Ein- und Ausatmen, im Innehalten und Power geben. Und deshalb kann ich meine Form zu beten, mit Yoga auf meiner Matte oder auf dem Sofa mit geschlossenen Augen, so beschreiben: Mein Körper und ich unterhalten uns und er gibt mir direkte Rückmeldung auf das, was ich aufnehme; seien es biblische Worte, Predigten oder Gebete von mir und anderen.
Mein Körper hat eine sensible Antenne und wenn ich ihn lasse, dann wird er zum Resonanzraum des Heiligen Geistes. Und wenn ich dann die Bibel lese, dann merke ich: Bevor da Buchstaben standen, waren es ja auch Erfahrungen von Menschen in ihren Körpern, die sie mit dem dreieinigen Go; machten und die sie zu Worten zusammenfassten; ganz ähnlich also wie bei mir auf der Matte.
Ich lade dich deshalb von Herzen ein, in deine Gebetspraxis Körperempfindungen und -bewegungen einzubeziehen; seien es konkrete Fragen wie "Wo im Körper empfinde ich gerade Nähe/Ferne von Gott?", "Was löst dieses Gebet in meinem Körper aus?" (Anspannung, Kiefersperre, Entspannung, Atemhalten etc.). Je vertrauter du mit dieser Art von Fragen an deinen Körper wirst, desto intuitiver wird dein Körper dir im Gebet Antwort geben.
Die Yogapraxis führt noch einmal bewusster in die Klärung von innerlichen Befindlichkeiten – ich kann in der langsamen, bewussten Bewegung und Atmung mit mir in Kontakt treten und oftmals in einer anderen Direktheit und Tiefe mein Gespräch mit Gott beginnen. Vielleicht kennst du dieses Gefühl von Lobpreiszeiten, Exerzitien, dem "Runners High" nach dem Laufen; der Kopf ist frei, du schlägst ein Notizbuch auf und kannst direkt deine Gedanken aufschreiben und vor Gott bringen. Das Teilhabenlassen des Körpers an der Gebetspraxis fördert Direktheit im Sinne einer Unvermitteltheit, die manchen Nebel verschwinden lässt. Dabei geht es nicht um die Selbstoptimierung, schneller oder besser mit Gott verbunden zu sein, sondern langsam und bewusster durch das Leben zu gehen, das Gott uns geschenkt hat.
Zum Abschluss meiner Gedanken noch einmal zu den Kindern: Kinder machen Chaos. Kinder sind laut und rennen schnell, immer irgendwohin unterwegs. Ich würde mir manchmal wünschen, wir würden ein ganz klein wenig von dieser Leichtigkeit übernehmen und einfach auch mal loslaufen, im Vertrauen auf den Einen, der uns auffängt, wenn wir stolpern und der auch vor keiner Yogamatte Halt macht; ganz im Gegenteil.
WER IST KATHI?
Katharina Mutzbauer ist evangelische Theologin, Yogalehrerin und Mama von Zwillingsjungs.
Körper und Glaube faszinieren Kathi schon lange in ihren Unterschieden und allem Gemeinsamen, in neuer Tiefe seit der Schwangerschaft und Geburt ihrer Kinder. Wenn sie über das bewegte Gebet nachdenkt, wie sie es nun seit circa sechs Jahren übt, dann gibt es nicht die eine Antwort, sondern für Kathi immer wieder neue Erkenntnisse und Entdeckungen über Gott und sie selbst.
Alles, was sie also hier geschrieben hat, ist ein wenig Stückwerk und wird von ihr immer wieder neu gedacht und überdacht.
Wenn du Fragen hast oder gerne mehr von Kathi erfahren möchtest, dann schreibe ihr gerne auf Instagram @koerper.poesie und schau auf ihrer Website vorbei:
Danke für deine wertvollen Impulse, den Körper einzubeziehen, das geht oft so verloren, so dass wir gar keinen richtigen Zugang mehr zu dem haben, was er uns sagen möchte. Die Bibelstelle von den Kindern finde ich dazu so passend…🤸